Mittwoch, 2. Mai 2018

Der Bumerang-Effekt der "Rente mit ..."-Diskussionen und mal was Handfestes aus der Welt der Tarifverträge

Bestimmte Themen kommen immer wieder - sie werden wie ein Bumerang in die öffentliche Arena geworfen. In der Diskussion über die Zukunft der Rente ist das belegt für die "Rente mit ..."-Debatten. Man darf nicht übersehen - der Ausflug in die Möglichkeit einer abschlagsfreien "Rente mit 63" gab und gibt es nur für einige und auch nur für einen begrenzten Zeitraum, denn die "Rente mit 67" als zukünftiges gesetzliches Renteneintrittsalter ist ja nicht abgeschafft worden, sondern die meisten Arbeitnehmer befinden sich auf diesem Weg und für den Jahrgang 1964, dem geburtenstärksten Jahrgang in diesem Land, wird das dann Wirklichkeit werden, wenn es bis dahin keine Änderungen mehr geben sollte.
Und schon wird bereits daran gearbeitet, diese Grenze weiter nach oben zu verschieben. So kann man im Frühjahrsgutachten 2018 der Wirtschaftsforschungsinstitute lesen:

»Um den Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung nach Einführung der geplanten Leistungsausweitungen langfristig auf 20 Prozent zu deckeln, müsste das Renteneintrittsalter rechnerisch auf über 70 Jahre steigen oder die Zuwanderung jüngerer Erwerbstätiger in jedem Jahr über 500.000 Personen betragen.« (S. 61)

Aber darum soll es hier gar nicht weiter gehen, das wird uns sowieso in den nächsten Monaten wie eine Riesen-Welle treffen. Es soll hier berichtet werden von ganz handfesten Ansätzen der Gewerkschaften, konkret der IG Metall, die Situation der Arbeitnehmer am Rand des Renteneintrittsalters zu verbessern im Sinne eines früheren Ausstiegs aus dem Erwerbsleben.

Und das, was berichtet wird, ist wirklich eine Neuigkeit: »Es ist eine Premiere im tarifpolitischen Geschäft der Metall und Elektroindustrie: Die IG Metall hat einen Tarifvertrag abgeschlossen, mit dem sich Arbeitgeber verpflichten, ihren Beschäftigten eine frühzeitige Rente zu erleichtern«, so Peter Thelen in seinem Artikel IG Metall setzt mit neuem Tarifvertrag ein Signal gegen die Rente mit 67.

Die IG Metall hat das, worüber Thelen berichtet, unter diese Überschrift gestellt: Rentenplus und mehr Geld für Metallhandwerker:

»Früher in Rente, ohne Abschläge: Das geht künftig im Metallhandwerk sowie in der Bau- und Landmaschinentechnik in Niedersachsen. Die Arbeitgeber zahlen Beschäftigten ab 50 Jahren monatlich 50 Euro zusätzlich in die Rentenkasse. Das hat die IG Metall durchgesetzt. Außerdem gibt es mehr Geld und mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit.«

Ausgangspunkt ist das folgende Problem für die Beschäftigten: Den Arbeitnehmern wird der Rentenanspruch für jeden Monat, den sie vor Erreichen der Regelaltersgrenze ausscheiden, um 0,3 Prozent gekürzt. Die Altersgrenze liegt aktuell bei 65 Jahren und sechs Monaten. Wer also früher in Rente gehen will und beispielsweise mit 63 Jahren und sechs Monaten das Berufsleben hinter sich lässt, muss lebenslang eine Kürzung um 7,2 Prozent in Kauf nehmen.

Nun muss man wissen, dass es im bestehenden Rentenversicherungssystem eine Option gibt, diese heftigen Abschläge zu vermeiden: Man kann - mittlerweile ab dem 50. Lebensjahr - zusätzliche Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen. Damit lassen sich der Rentenversicherung die Abschläge, die versicherungsmathematisch entstehen, abkaufen.

Genau auf diesen Mechanismus zielt nun der neue Tarifvertrag, den die IG Metall Niedersachsen für die 40.000 Beschäftigten des Metallhandwerks und des Land- und Baumaschinentechnikerhandwerks abgeschlossen hat.
Konkret haben die Beschäftigten dank des neuen Tarifvertrags Rechtsanspruch auf eine monatliche Zusatzzahlung der Arbeitgeber von 50 Euro an die Rentenversicherung – zusätzlich zu dem bestehenden monatlichen Rentenbeitrag.

»Jeder Beschäftigte kann die Zahlung aufstocken. Dies dürfte in den meisten Fällen auch erforderlich sein. Denn laut Rentenversicherung muss ein Arbeitnehmer mehr als 17.000 Euro einzahlen, um einen Rentenabschlag von 7,2 Prozent bei einem erwarteten Rentenanspruch von 1000 Euro auszugleichen«, berichtet Peter Thelen in seinem Artikel.

Und dass das wahrlich ein "gutes Geschäft" sein kann, lässt sich dem Artikel auch entnehmen:

»Seit Januar liegt der Rentenbeitrag mit 18,6 Prozent so niedrig wie zuletzt 1992. „Und wir können noch mit sieben guten Rentenjahren rechnen“ sagt der Rentenexperte Werner Siepe. „Dieses Zeitfenster können Rentenversicherte sehr sinnvoll nutzen, um Extrabeiträge einzuzahlen.“ Denn diese Beiträge brächten, so der Versicherungsmathematiker, in der Rentenversicherung aktuell mehr Ertrag als wenn das gleiche Geld in eine private Altersvorsorge, etwa eine Rürup-Rente eingezahlt werden würde.«

Die Möglichkeit, schon ab dem 50. Lebensjahr Zusatzbeiträge einzuzahlen, besteht erst seit Juli 2017. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob die Arbeitnehmer am Ende tatsächlich vorzeitig in Rente gehen. Arbeiten sie bis zur Regelaltersgrenze weiter, gibt es schlicht höhere Rentenzahlungen.

Offensichtlich haben die Tarifexperten der IG Metall ganze Arbeit geleistet, denn Thelen merkt an:

»Kein Zufall ist sicherlich, dass der neu abgeschlossene Tarifvertrag frühestens zum 31.12.2024 gekündigt werden kann. Genau dann nämlich sind die sieben guten Jahre für die Rentenversicherung laut den aktuellen Prognosen der Bundesregierung vorbei.«

Und das, was allgemein als qualitative Tarifpolitik bezeichnet wird (also nicht nur die Fixierung von mehr oder weniger hohen Lohnzuwächsen), schlägt sich in diesem neuen Tarifvertrag auch noch an weiteren Stellen nieder. So berichtet die IG Metall: Die »Beschäftigten (erhalten) künftig mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit. Der Tarifvertrag sieht vor, dass Beschäftigte Zeitguthaben ansparen können, unter anderem für Pflege- und Elternzeit, befristete Teilzeit, Qualifizierungszeiten oder auch für den vorgezogenen Ruhestand.«